[Stockholmer] Telegramm 18

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Gott sei Dank, wir jagen wieder U-Boote. Försvarsmakten, auf Deutsch die Schwedischen Streitkäfte, haben nun neue Bilder vorgelegt, die beweisen sollen, daß jüngst schwedische Hoheitsgewässer durch ein fremdes Unterseeboot verletzt wurden. Wir erinnern uns: großes Spektakel in den Stockholmer Schären, selbst die deutsche Presse kam nicht umhin, darüber >>> zu berichten. Nun wurde also ein >>> Bild präsentiert, welches unumstößlich beweisen soll, daß es ein solches U-Boot gab. Da es sich um ein Sonarbild handelt, ist der Interpretationsspielraum natürlich gewaltig, ich selbst würde eher von einem Wurm denn von einem U-Boot ausgehen. Vielleicht ist es auch eine abgesoffene Gummibanane, auf der man im Sommer, angehängt an ein motorisiertes Wasserfahrzeug, gern für 20 € Euro in Kühlungsborn über die Ostsee rauscht. Und wie schon im November: es war ein U-Boot, aber mehr weiß man nicht. Nicht, woher es kam, was es wollte, wohin es fuhr. Es fährt ein U-Boot nach nirgendwo. Ach, Weihnachten kann kommen! Mit einem russischem U-Boot unter dem Tannenbaume! Ein ganz großes, mit vielen Raketen! Sonst nimmt die Geschichte wohl nie ein vernünftiges Ende …

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Winter, oh Winter! Ein Elend ist’s mit Dir! Die in Berlin teuer erstandene Winterjacke kann wohl auf den Scheiterhaufen.

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Meine Schüler zählen schon die Tage bis zu den Weihnachtsferien. Ob die Lehrer dies aucht täten, fragten sie mich. Ich habe nicht geantwortet, sondern darauf hingewiesen, daß nur eindreißig Tage zur Verfügung stünden, um den Dativ halbwegs zu verarbeiten.

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Ich bin für ein Verbot von Mobiltelefonen in öffentlichen Verkehrsmitteln. Um 18.30 Uhr möchte ich nach zehneinhalb Stunden in der Schule einfach nicht wissen, ob Madame ihre Schuhe vom Schuster holt oder Monsieur abends seinen Schlüpfer in die Waschmaschine stecken möchte. Ich möchte einfach Feierabend haben.

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Der >>> Julbord-Wahn hat begonnen.

Rechtsruck – erwartet.
[oder: Willkommen zurück, Sverigedemokraterna!]

Was in Deutschland sicher keiner zur Kenntnis genommen hat, wie denn auch, es finden hier am Sonntag in Schweden sowohl die Wahlen zum schwedischen Reichstag als auch Kommunalwahlen statt. Meine Wenigkeit darf sich dabei auf die Wahlen in den Kommunen beschränken, es fehlt einem immer noch die schwedische Staatsbürgerschaft.

Und wenn man dann am Sonntagabend in Thüringen und Brandenburg wahrscheinlich der NPD wieder die Türe zu den Landtagen vor der Nase zuknallt, stürmen die Mitglieder des schwedischen Pendants, Sverigedemokraterna (die Schwedendemokraten), den schwedischen Reichstag und freuen sich vermutlich darüber, daß sie mehr als zehn Prozent erreicht haben [pessimistische Prognosen gehen gar von 20 Prozent aus].

Besonders hervorgetan haben sich diese Partei und deren Mitglieder u.a. mit Aussagen darüber,

  • daß einsame Flüchtlingskinder verbrennen sollten
  • daß Einwanderer sich nicht von Schadinsekten unterschieden
  • daß Roma und Sinti ein Krebsgeschwür wären
  • daß man die zurückgebliebenen Einwanderer im Malmöer Stadtteil Rosengård nach Sibirien deportieren sollte, ohne Rückfahrkarte, am besten durch eine militärische Säuberungsaktion in jenem Stadtteil, Arbeit fände sich in den sibirischen Salzbergwerken oder den chinesischen Kohlegruben
  • daß man auffällig gewordene Asylsuchende/Einwanderer mit einem Genickschuß hinrichten sollte
  • daß Transsexuelle psychiatrisch behandelt werden müßten und zu sterilisieren seien
  • daß Homosexualität unnatürlich wäre und zur Degeneration des Volkes führe.

Auf Schwedisch nachlesbar:
>>> http://www.expressen.se/nyheter/val2014/per-klarin-nasta-att-lamna-sina-updrag/
>>> http://www.expressen.se/nyheter/val2014/jamforde-romer-med-cancer–vagrar-backa/
>>> http://www.expressen.se/nyheter/val2014/sd-man-hoppar-av-efter-granskningen/
>>> http://www.expressen.se/nyheter/expressen-avslojar/sd-politikern-skrev-hatkommentarer/
>>> http://expo.se/2014/sd-ordforande-fram-med-steriliseringstvang_6492.html
>>> http://bloggar.eposten.se/risman/2014/04/30/darfor-ar-jag-radd-nar-sd-kommer-till-enkoping/

Darüber hinaus müßte das schwedische Erbe bewahrt werden (meistens wissen sie aber selbst nicht, was sie eigentlich damit meinen) und Schweden wieder schwedisch, schwedischer, am schwedischsten werden. Sozusagen das übliche Geknatter, das man auch aus deutschen Landen kennt.

Nun ist es nicht so, daß die Sverigedemokraterna neu wären, schon die am Sonntag auslaufende Legislaturperiode war ihnen im Reichstag vergönnt, zogen sie doch im Jahre 2010 mit knapp sechs Prozent in diesen ein. Daß nun aber ihre Aussichten auf eine Verdopplung, wenn nicht sogar eine knappe Verdreifachung der Sitze so klar und deutlich auf der Tagesordnung stehen, ist leicht beängstigend. Und eigentlich ein Armutszeugnis für die schwedische Politik.

Ich mache mir übrigens keine Sorgen um meine schwedische Staatsbürgerschaft. Mir wurde jüngst in einem Streitgespräch mit einem Mitglied dieser Partei versichert, daß Deutsche immer willkommen wären. Meinen Einwand, ich sei doch auch nur ein schnöder, einfacher Einwanderer, ließ man nicht gelten.

Hirnverbrannt, verachtend, rassistisch. Dumm. Größenwahnsinnig. Rattenfänger. Altbekannt?

Armes Schweden.

Investigativ. Stockholm.

Auch in der „Hauptstadt Skandinaviens“ ist nach dem Ende der Sommerferien am 17. August wieder der alltägliche Wahnsinn eingekehrt: entgleiste Züge, maulende Schüler, hektische Pendler, vergraulte Touristen, volle Straßen, Arbeit, Chaos, Anarchie, ein bißchen „ALS Ice Bucket Challenge“.

Ach, und da war noch etwas: Wahlen zum schwedischen Reichstag und Kommunalwahlen im September.

Nur die Stockholmer Presse scheint im Sommerloch hängen geblieben zu sein. Oder hat einfach mutwillig ihren Aufenthalt dort verlängert. Mal davon abgesehen, daß die Nachrichtenseite für Stockholm bei „Dagens Nyheter“ sowieso recht oft unter Woche sich selbst überlassen ist (es müssen schon einschneidende Geschehnisse über Stockholm hereinbrechen, damit sich die Redaktion zu einer schriftlichen Aktion aufraffen kann), scheint nun aber doch der echte Notstand zu herrschen.

Freilich gibt es genug Nachrichtenpotential, wir sind hier immerhin in einer Weltstadt, in der z.B. der Nahverkehr jeden Tag aufs neuerliche zusammenbricht. Oder die Schulen an akutem Lehrermangel leiden. Eine rechte Partei in Schulen nach Wahlstimmen fischt. Politiker zweifelhafte Entscheidungen treffen. Und immerhin das Volk nach dem Farbwunsch einer sich im Bau befindlichen U-Bahnlinie gefragt wird. Die Vororte rumoren wieder.

Jedoch die große Nachricht also am gestrigen Tage: >>> Es riecht nach Pferd in der Querbahn. Wer Stockholm nicht kennt: die Querbahn ist eine recht flotte Straßenbahn, die vorige Woche eine Erweiterung erfahren hat und teils mit neuen Zügen ausgestattet wurde. Und nun also nach Pferd riecht. Aushalten solle man, so ein Sprecher der Verkehrsbetriebe, es sei die anhaltende Feuchtigkeit, die den nagelneuen Klimaanlagen in den Zügen noch zu schaffen mache, sie wären noch nicht ganz durchgepustet. Deswegen stünde das Pferd nun wortwörtlich in der Bahn. Und die Theorie, man hätte Roßhaar in den Sitzen verarbeitet, könne man getrost vergessen. Festlegen wolle man sich in Bezug auf das Verschwinden auch noch nicht. Das Problem sei in Bearbeitung.

Wunderbar.

Ich werde in Zukunft einfach meine Wand befragen. Wenn etwas in Stockholm passiert. Wenn ich etwas wissen möchte.

Wie jetzt!?! nr. 18

Ich gebe auf. Eigentlich dachte ich immer, als Englischlehrer wäre man vorbereitet. Allerdings hat man nicht mit der deutschen Werbeindustrie gerechnet. Die irgendwelche englische Wörter nimmt. Welche in ihrer Bedeutung aber völlig verhunzt werden. Und dann durch die Hand irgendwelcher Redakteure in Artikeln landen. Dadurch den Leser völlig überfordern. Der aus purer Verzweiflung schlußendlich seinen englischen „Duden“ durch den Schredder jagt. Und sanft die Augen schließt.

„Brand Feel Ranking“ für Fluggesellschaften

Claimstärke

Germanwings-Claim

>>> Marke „Lufthansa“ leidet nicht unter Germanwings-Image
[abgerufen: 06/07/2014]