BILD meint: nr. 9

Lieber Leser, nicht alle teilen zwei Leidenschaften von mir: die Fliegerei und das Durchforsten der BILD nach schlampiger journalistischer Arbeit, welche zuweilen für Desinformation und Falschnachrichten der besten Sorte sorgt. Daher habe ich diesen, etwas längeren Artikel nicht komplett auf die Startseite gestellt, sondern überlasse es dem Lesenden durch Auswahl, ganz demokratisch also, ob ihn meine Ausführungen interessieren oder nicht.

Die BILD versucht in einem Artikel vom 4. September 2008 unter dem Titel Defekte Flügelklappen wohl Grund für Katastrophe die Ursache für den verunfallten Flug der >>> Spanair am 20. August 2008 zu klären, dabei stützt sie sich auf einen Artikel des Wall Street Journal. Im Verlaufe des BILD-Artikels allerdings stellen sich zwei grundlegende und sorgenbereitende Umstände ein:

  1. Die Redaktion der BILD ist der englischen Sprache nicht mächtig.
  2. Die BILD revolutioniert das Fliegen entgegen aller physikalischen Gesetze.

Die Summe dieser Unzulänglichkeiten ist ein sachlich völlig falscher Bericht, der zudem die Physik des Fliegens leicht auf den Kopf stellt.

Der Übersichtlichkeit halber sollen zunächst die Übersetzungsfähigkeiten dargestellt werden, auf denen die Ausführungen der BILD fußen:


Quellen:
1 = >>> BILD-Artikel vom 4. September 2008 (zuletzt abgerufen: 2009/09/05)

2 = >>> Wall Street Journal, Artikel von Andy Pasztor vom 3. Sept. 2008 (zuletzt aufgerufen: 2008/09/05)

3= Übersetzung des Wall-Street-Journal-Artikels durch den Autor.

So können also an dieser Stelle folgende und schwerwiegende inhaltliche Fehler zusammengefaßt werden, welche durch eine schlampig geführte Übersetzung aufgetreten sind, und den gesamten Tatsachenstand verändern:

  1. Das Wall Street Journal spricht von einem Fehler an den Klappen. Ein Fehler kann systembedingt sein oder einen fehlerhaften Zustand dieser beschreiben (z.B. eine falsche Einstellung). Es wird nicht von einem Defekt gesprochen.
  2. Das Wall Street Journal berichtet davon, daß die Piloten die Klappen vor dem Take off nicht ausgefahren hätten. Dies beschreibt den eben genannten Fehler. Es zeugt weiterhin davon, daß also nicht ein Defekt vorgelegen haben kann. Dies wird im gesamten BILD-Artikel nicht erwähnt.
  3. Das Wall Street Journal beschreibt die wesentliche Aufgabe der Klappen darin, daß sie während eines Take off in ausgefahrenem Zustand für mehr Auftrieb sorgen, der zum sicheren Abheben notwendig ist. Es wird an keiner Stelle beschrieben, daß die Klappen, wie bei BILD dargestellt, zum Beschleunigen notwendig sind. Es wird weiterhin nicht beschrieben, daß das Flugzeug auf Grund der eingefahrenen Klappen nicht genug Geschwindigkeit erreicht hätte.
  4. Das Wall Street Journal stellt lediglich fest, daß das Flugzeug nicht für einen Take off angemessen konfiguriert war, hingegen die BILD berichtet, es hätte weiterhin ein Fehler vorgelegen.

Die Krux an den ganzen Übersetzungsfehlern ist, daß BILD die Funktion der Klappen völlig falsch darstellt und zudem die Physik etwas auf den Kopf stellt.

Ein Verkehrsflugzeug hat gewöhnlich folgende Elemente an seinen Tragflächen:

A) die Vorflügel (engl. slats)


Graphik Vorflügel, erstellt von >> Stahlkocher (auf Wikipedia)

  • sie ermöglichen es dem Flugzeug (in Kombination mit den Landeklappen) in einem steileren Anstellwinkel zu fliegen – damit wird ein Strömungsabriß auch bei langsameren Geschwindigkeiten verhindert (allerdings nur, bis der max. Anstellwinkel erreicht ist, bei dem noch Auftrieb erzeugt wird)

B) die sogenannten Störklappen (engl. Spoiler)

Störklappen bei einem Airbus A320 aufgestellt (rechts).

  • sie verringern im aufgestellten Zustand eine Erhöhung des Luftwiderstandes, wodurch das Flugzeug zum einen schneller sinken kann (einfach ausgedrückt) bzw. in der Luft abgebremst wird – zudem sorgen sie unmittelbar nach der Landung für eine besseren Haftung der Flugzeugräder auf der Landebahn, da sie den Auftrieb der Tragflächen stören

C) die Landeklappen (auch nur Klappen genannt, engl. flaps)


Landeklappen bei einem Airbus A320 während des Landeanfluges, voll ausgefahren.

  • sorgen bei Start und Landung des Flugzeuges durch die Vergrößerung der Flügelfläche für einen stärkeren Auftrieb, so daß sie vor allem während dieser Betriebsphasen benutzt werden. Im voll ausgefahrenen Zustand (zumeist nur bei der Landung) erhöhen sie weiterhin den Luftwiderstand, so daß sie hierdurch die schnelle Anpassung der Geschwindigkeit während eines Anfluges ermöglichen (vor allem große Flugzeuge bauen ohne Klappen ihre Geschwindigkeit auf Grund der trägen Masse nur sehr langsam ab).

Wie nun sicherlich zu erkennen ist, haben die Klappen (also die Landeklappen), von denen auch die BILD spricht, beim Start eigentlich nur eine Aufgabe: Sie sollen den Auftrieb des Flugzeuges erhöhen. Mit ausgefahrenen Klappen kann ein Flugzeug bei einer niedrigeren Geschwindkeit genug Auftrieb erzeugen, damit es abheben kann, als wären die Klappen nicht ausgefahren. Damit einhergehend braucht ein Flugzeug, das mit gesetzten Klappen startet, weniger Startlaufstrecke. Sind die Klappen indes nicht ausgefahren, wird folglich eine wesentlich höhere Geschwindkeit benötigt, um abzuheben. Ist diese allerdings nicht erreicht, wie wohl im Falle des Madrider Unfalles, riskiert der Pilot einen Strömungsabriß, wenn er versucht das Flugzeug in die Luft zu befördern.

Klar wird nun sicher an dieser Stelle, nach den kurzen und sehr einfach gehaltenen Ausführungen, daß alle Klappensysteme passiv auf ein Flugzeug einwirken. Sie lassen die Geschwindigkeit verringern und sie helfen bei verschiedenen Manövern am Boden und in der Luft. Zudem sollte nun ein Widerspruch auffallen: Klappen sorgen niemals dafür, daß ein Flugzeug beschleunigt. BILD allerdings behauptet, wie oben in der Tabelle zu sehen ist, daß nicht ausgefahrene Klappen (hier also die Landeklappen) die Beschleunigung derartig verringert hätten, daß augenscheinlich nicht genug Geschwindigkeit zum sicheren Abheben zur Verfügung gestanden hätte.

Ein Flugzeug wird einzig und allein durch seine Triebwerke beschleunigt. Die Beschleunigung am Boden wird unwesentlich durch ausgefahrene bzw. eingefahrene Klappen beeinflußt. Dies trifft auch auf die Geschwindigkeit zu. Klappen können physikalisch gesehen keinerlei Einfluß auf Beschleunigung und Geschwindigkeit nehmen (beim Startlauf), da sie aktiv keine Fortbewegungskraft wie Triebwerke erzeugen.

Und am Ende dieser kleinen Abhandlung, die wieder einmal beweist, daß BILD weit entfernt jeglicher guter journalistischer Arbeit operiert, will ich nun technisch gesehen den BILD-Artikel richtig stellen.

Unter der Annahme, die Klappen waren für den Start nicht ausgefahren, die Piloten gingen jedoch genau vom Gegenteil aus, hat das Flugzeug bei einer zu niedrigen Geschwindigkeit versucht, abzuheben, und zwar bei genau der Geschwindigkeit, die für die angenommenen ausgefahrenen Klappen festgelegt ist. Daraus folgt, daß KEIN technischer Defekt vorgelegen hat, daß die Beschleunigung nicht beeinflußt wurde. Vielmehr ist anzunehmen, daß eine fehlerhafte Konfiguration des Flugzeuges durch die Piloten (keine ausgefahrenen Landeklappen für den Start), also menschliches Versagen, das Unglück ausgelöst hat, wohl auch deshalb, weil eine Warneinrichtung im Cockpit nicht ansprang. Warum diese technische Einrichtung ihren Dienst versagte, bleibt bis zum Erscheinen des endgültigen Untersuchungsberichtes ungeklärt. Auf der anderen Seite hätte die falsche Konfiguration beim Abarbeiten der Check-Listen vor dem Take off durch die Piloten auffallen müssen, ein Take-off-Versuch wäre dann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erst gar nicht unternommen worden.

Und wie man das auch ganz seriös und richtig darstellen kann, zeigen diese Beispiele:

>>> n-tv.de

>>> airliners.de

>>> Tagesspiegel.de (auch wenn die Überschrift nicht ganz korrekt ist)

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