BILD meint: nr. 18

… oder: Wie man aus einem Goldfischlein einen Blauwal macht.

Denn, lieber Leser, da ich heute einfach mal zu viel Freizeit hatte, war es mir mal wieder möglich, die deutsche Presselandschaft im Internet ausgiebig zu studieren. Natürlich durfte auch die BILD nicht fehlen, die ja dafür bekannt ist, auch wirklich das Letzte aus einem Ereignis heraus zu holen, wie auch der heutige Fall einmal mehr beweist, der kontrastiv beleuchtet werden soll.

Zu einem gestrigen Ereignis auf dem Flughafen von Stuttgart meldet der >>> Deutsche Depeschendienst (ddp):

Flugzeug wegen technischer Probleme kurz nach Start wieder gelandet

Stuttgart (ddp). Wegen technischer Probleme ist am Mittwochmorgen ein Flugzeug am Stuttgarter Flughafen kurz nach dem Start wieder gelandet. Es habe sich um eine «Sicherheitslandung», jedoch keine Notlandung gehandelt, sagte ein Unternehmenssprecher der betroffenen Fluggesellschaft Germania auf ddp-Anfrage […]1

Etwas dramatischer geht es da schon bei den >>> Stuttgarter Nachrichten zu, die ihrerseits ebenso gestern verlautbaren ließen:

Technische Probleme
Flugzeug in Stuttgart notgelandet

Leinfelden-Echterdingen – Auf dem Stuttgarter Flughafen ist am Mittwoch ein Flugzeug kurz nach dem Start notgelandet. (…) Nach der sicheren Landung rollte das Flugzeug planmäßig zur Parkposition.2

Zwar konterkarieren die Stuttgarter Nachrichten die offizielle Mitteilung der Fluggesellschaft Germania dahingehend, daß sie nicht von einer Sicherheitslandung ausgehen, sondern explizit von einer Notlandung sprechen, allerdings wird auch bei ihnen nicht der Eindruck erweckt, Leib und Leben seien in Gefahr gewesen.

Wie eingangs die Überschrift meines Artikels schon erklärt, muß die BILD am heutigen Tage etwas ganz anderes aus diesem Ereignis gemacht haben. Daher soll nun gezeigt werden, wie aus dem Goldfischlein ein Blauwal wurde, denn >>> BILD beschreibt das heute so:

Horror-Flug ST-2156
„Wir beteten, kleine Kinder weinten“

Boeing 737 musste notlanden • 137 Passagiere in Todes-Angst • BILD erfuhr: Es war bereits die zweite schwere Panne! […]

Panik an Bord der Boeing 737. Notlandung auf dem Stuttgarter Flughafen! (…)
Die große Maschine flog schon über München, als der Kapitän aus dem Cockpit Probleme meldete. (…)
Horror für die Passagiere an Bord. (…)

Skandalös: Diese Boeing 737 musste schon am Montag wegen eines Defekts in Antalya notlanden. Wurde das Problem an der Maschine etwa gar nicht beseitigt?3

Es ist erstaunlich, daß BILD einmal mehr besser informiert ist als das betroffene Flugunternehmen, welches ja von einer Sicherheitslandung spricht. Nicht zu vernachlässigen ist der Horror an Bord des Flugzeuges, das Weinen der Kinder, die dramatischen Aussagen der Zeugen, die in Zweifel zu ziehen sind, zumindest in der Form, wie sie bei BILD präsentiert werden. Ich verstünde ein Weinen und den Horror, hätte die Maschine gebrannt, außergewöhnliche Geräusche gemacht, eine abnormale Fluglage eingenommen, also schlichtweg alles, was der Passagier in der Kabine physisch und visuell erfahren kann, stellen sich Störungen ein. Davon ist aber nirgendwo die Rede, vielmehr wird doch nur mitgeteilt, daß der Pilot (und nicht die Passagiere) einen technischen Defekt festgestellt hätte. Wie kann dann also Horror ausbrechen oder gar vorherrschen? Und was versteht BILD eigentlich unter großen Flugzeugen? Der größte Vertreter der >>> Boeing-737-Familie (die Boeing 737-900ER) ist 42,1 m lang und hat eine Spannweite von 34,3 m, maximal 215 Passagiere passen hinein. Boeings größtes angebotenes Flugzeug, die >>> Boeing 747-400ER (auch Jumbo-Jet genannt), hat hingegen eine Länge von 70,6 m und eine Spannweite von 64,4 m und bietet bis zu 524 Passagieren Platz. Wie kann man also bei solchen Größenunterschieden von einem großen Flugzeug sprechen?

Skandalös an dem Ganzen ist eigentlich nicht, daß das Flugzeug vielleicht schon früher einen Defekt hatte, welcher zu einer unplanmäßigen Landung zwang, der aber alles und nichts sein kann, die BILD weiß ja da auch nicht mehr, aber es muß natürlich erst einmal beschrien werden, sondern schlechthin die widerliche Sensationslust, man darf sie ruhig auch Geilheit nennen, aus dem Springer-Hause. Wenn aus einer jeden Sicherheitslandung, die täglich mehrmals auf diesem Planeten passiert, ein solch mediales Schreckensszenario veranstaltet würde, wir kämen aus dem täglichen Notlanden gar nicht mehr heraus, das Fliegen wäre nur noch zum Weinen und der reinste Horror.

Und um nun abzuschließen, eine Notlandung wird dann durchgeführt, wenn im Flug ein Ereignis auftritt, welches eine sofortige Landung unabdingbar macht [siehe >>> hier unter Notlandung], wenn das Flugzeug sich also in einer Notlage befindet. Eine Sicherheitslandung hingegen wird durchgeführt, um eine sich eventuell anbahnende Luftnotlage zu verhindern [siehe >>> hier unter Sicherheitslandung], allerdings besteht keine akute Gefahr für das Leben der Menschen an Bord des Flugzeuges noch für das Flugzeug selbst. Wenn wir nun in Betracht ziehen, daß der Pilot der Germania-Maschine nicht auf den Flughafen München abgestürzt ist, Verzeihung, auf diesem eine Notlandung durchgeführt hat, sondern umgekehrt und zum kilometerweit entfernten Stuttgart zurückgekehrt ist, sollte man davon ausgehen, daß er nicht in Eile war und die Benutzung des Begriffes Notlandung mehr reißerisch denn sachlich richtig ist.

So wurde also aus dem Goldfischlein ein Blauwal – und mir ganz schlecht.

Quellen:

1 = ddp Deutscher Depeschendienst GmbH: Flugzeug wegen technischer Probleme kurz nach Start wieder gelandet (Agenturmeldung v. 27.05.2009), URL: http://www.derNewsticker.de/news.php?id=115285 (Stand: 28.05.2009)

2 = Stuttgarter Nachrichten Online: Flugzeug in Stuttgart notgelandet (27.05.2009), URL: http://www.stuttgarter-nachrichten.de/stn/page/2036961_0_9223_-technische-probleme-flugzeug-in-stuttgart-notgelandet.html (Stand: 28.05.2009)

3 = BILD.de: Wir beteten, kleine Kinder weinten (28.05.2009), URL: http://www.bild.de/BILD/regional/stuttgart/aktuell/2009/05/28/horror-flug-st-2156/137-passagiere-in-todes-angst.html## (Stand: 28.05.2009)

Schreibe einen Kommentar