Abschluss (Telegramm)

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Das Schuljahr ist abgeschlossen, die Noten waren schon vorige Woche fertig und die Schüler drehten genauso durch wie die werten Lehrer. Es herrschte Panik, Chaos und Verzweifelung ob der letzten Tage, die da noch kommen würden. Allerdings habe ich das Durcheinander umschifft – es gab bei mir in den letzten Stunden einfach deutsche Weihnachtsmusik (das Singen habe ich allerdings verwehrt), Dominosteine und Stollen. Für die Zukunft: keine Dominosteine mehr – die kommen einfach nicht an. Und natürlich wurden die Schüler in solch beschwingten Momenten, bei Kerzenschein und Schunkelmusik, neugierig. Ob ich denn bei Air-Berlin arbeiten würde (ein Foto eines Air-Berlin-Winglet schmückt meine Handytasche und mein Desktop-Hintergrund auf dem Laptop zeigt stolz eine Boeing 737-800 der Air-Berlin), warum ich keine Kinder hätte (mit 35 wäre es schließlich Zeit), ob sie die Schlimmsten wären (weil ich immer so streng mit ihnen wäre), ob ich denn überhaupt noch Lust auf Schule verspürte (andere Kollegen meinten wohl zu ihnen, sie seien es müde, bei ihnen zu unterrichten)?

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Ich habe das erste Mal in meinem Leben ein Pfefferkuchenhaus gebaut – unfreiwillig. Denn ich wurde in den letzten Tagen als Vertretungslehrer in Hauswirstschaftskunde eingesetzt. Ich bin baß erstaunt, daß unsere Küchen nicht abgebrannt sind … Denn wer hört schon auf den Lehrer, der von wenig Hitze beim Schmelzen des Zuckers in den Pfanne spricht! Das Stichwort Abwaschen erfährt in diesem Zusammenhang ganz neue Dimensionen.

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Stockholm hatte in diesem Winter bisher erst EINMAL Schnee. Es ist weiterhin verwirrend, soweit nördlich zu wohnen und trotzdem im Dezember den Trieben an den Bäumen beim Sprießen zugucken zu müssen.

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Aus Sicherheitsgründen habe ich meine Badehose nach Berlin mitgenommen. Die kann ich dann am Heiligabend bei 10°C plus vor dem Tannenbaume zur Schau stellen. Eventuell werde ich auch ein Liedchen anstimmen.

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Neujahr wird in weiter Ferne verbracht, so ganz in Ruhe und ohne großes Spektaktel.

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Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr sei gewünscht!
Wie immer: Im neuen Jahr wird alles viel schöner, bunter und besser!

[Stockholmer] Telegramm 18

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Gott sei Dank, wir jagen wieder U-Boote. Försvarsmakten, auf Deutsch die Schwedischen Streitkäfte, haben nun neue Bilder vorgelegt, die beweisen sollen, daß jüngst schwedische Hoheitsgewässer durch ein fremdes Unterseeboot verletzt wurden. Wir erinnern uns: großes Spektakel in den Stockholmer Schären, selbst die deutsche Presse kam nicht umhin, darüber >>> zu berichten. Nun wurde also ein >>> Bild präsentiert, welches unumstößlich beweisen soll, daß es ein solches U-Boot gab. Da es sich um ein Sonarbild handelt, ist der Interpretationsspielraum natürlich gewaltig, ich selbst würde eher von einem Wurm denn von einem U-Boot ausgehen. Vielleicht ist es auch eine abgesoffene Gummibanane, auf der man im Sommer, angehängt an ein motorisiertes Wasserfahrzeug, gern für 20 € Euro in Kühlungsborn über die Ostsee rauscht. Und wie schon im November: es war ein U-Boot, aber mehr weiß man nicht. Nicht, woher es kam, was es wollte, wohin es fuhr. Es fährt ein U-Boot nach nirgendwo. Ach, Weihnachten kann kommen! Mit einem russischem U-Boot unter dem Tannenbaume! Ein ganz großes, mit vielen Raketen! Sonst nimmt die Geschichte wohl nie ein vernünftiges Ende …

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Winter, oh Winter! Ein Elend ist’s mit Dir! Die in Berlin teuer erstandene Winterjacke kann wohl auf den Scheiterhaufen.

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Meine Schüler zählen schon die Tage bis zu den Weihnachtsferien. Ob die Lehrer dies aucht täten, fragten sie mich. Ich habe nicht geantwortet, sondern darauf hingewiesen, daß nur eindreißig Tage zur Verfügung stünden, um den Dativ halbwegs zu verarbeiten.

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Ich bin für ein Verbot von Mobiltelefonen in öffentlichen Verkehrsmitteln. Um 18.30 Uhr möchte ich nach zehneinhalb Stunden in der Schule einfach nicht wissen, ob Madame ihre Schuhe vom Schuster holt oder Monsieur abends seinen Schlüpfer in die Waschmaschine stecken möchte. Ich möchte einfach Feierabend haben.

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Der >>> Julbord-Wahn hat begonnen.

[Stockholmer] Telegramm 17

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Ich warte auf den Winter, meine Schüler dagegen nicht. Außerdem jagen wir anscheinend U-Boote in den Schären vor der hiesigen Stadt. Auch wenn eigentlich keiner etwas Genaues weiß. Die bisher publizierten Bilder können alles und nichts sein, zu unscharf und verpixelt. Ein mysteriöser Mann verwirrt die lokale Presse zusätzlich. Und dennoch jagen wir im Moment alles, was schwimmen und tauchen kann. Heute nun sogar auf dem offenen Meer. Eine riesige Blase, Expertenblase, wabert in der Presse umher. Vollgestopft mit Vermutungen, unsicheren Ahnungen, fast bombensicheren Beweisen und wichtigen (Schein-)Erkenntnissen. Ich hätte gern wieder richtige Nachrichten …

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Am Wochenende wurde Hudiksvall in Norrland unsicher gemacht, bei einer ehemaligen Kollegin vom Tumba-Gymnasium. Kleine, feines Städtchen, fast wie Falun. Ruhig und am Wasser gelegen, an der Bottensee (südlicher Teil des Bottnischen Meerbusens). Viel Natur rundherum, und mit dem Zug oder Bus innerhalb von drei Stunden von Stockholm aus erreichbar. Bis zum Flughafen Arlanda sind es sogar nur zwei Stunden und dreißig. Ich war sicherlich nicht das letzte Mal in Norrland, ganz gewiß nicht …

18/10/2014 Hudiksvall hamn/Hafenspeicher - Kerzengrade?
18/10/2014 Hudiksvall hamn/Hafenspeicher – Kerzengrade?

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Ich habe dank meiner siebten Klassen im Fach Deutsch ein neues Wort auf Schwedisch gelernt: en Wi-Fi-panna, zu Deutsch auch die Wi-Fi-Stirn. Anstatt mir schonungslos die Wahrheit in Gesicht zu sagen (z.B. tiefe, lange Gräben im oberen Drittel des Gesichts), verwenden sie das Symbol des Funkstandards, um mitzuteilen, daß die Lehrerstirn altern würde. Ich solle mir aber keine Sorgen machen, sie könnten das mit ihren Stirnen auch, also ein Wi-Fi-Symbol hervorzaubern. Ich grinse immer noch tief in mich hinein.

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Die Ferien stehen vor der Tür. Am Freitag schlägt um 15 Uhr das letzte Stündlein für die Schule, zumindest in Bezug auf den Monat Oktober. Vorher allerdings steht auf dem Programm: Tanztag für die Schüler am Donnerstag, Studientag für die Lehrer am Freitag.

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Wie vor jedem Winter habe ich meine Mütze um die Ecke gebracht, diesmal zuletzt gesehen in Hudiksvall. Es kann nicht schlimmer werden.