Verwirrt.

Schule: Fantastisch. Ich hatte vergessen, wie es ist, mit Grundschülern zu arbeiten. Anstrengend. Fordernd. Chaotisch. Motiviert. Fragend. Staunend. Lustig. Dankbar. Aufgeregt. Schüchtern. Guckend. Provozierend. Und trotzdem am Lernen!

Renke: Dankbar. Drohend. Verwundert. Freitags Hochpunkt Arbeitsmoral. Erstaunt. Er fordert. Feedback. Motivation. Mehr. Lebendig. Mit den Schülern. Streng. Überrascht. Zusammen. Vorwärts. Ein bißchen mit dem Herzen (NUR EIN BISSCHEN).

Ich wollte niemals Lehrer werden.

Und nun darf ich sie unterrichten!

Verwirrend? Die Nazipartei, Sverigedemokraterna, ist seit Sonntag die drittstärkste Partei in Schweden.

Ich bin eingewandert.

Was man sich passiv durch die Medien als Einwanderer anhören muß, paßt nicht.

Mein Schwedisch ist nicht perfekt. Förlåt, Sverigedemokraterna! Men har ni koll på språket, grammatiken? Ni jävla idioter? Sverige utan oss vore som Östersjön utan fiskar! Dvs. ingenting!

Ein schwedischer Mitbürger zu werden. Wollte ich mal. Schiebe ich auf. Gebe ich auf?

God natt, Sverige!

Rechtsruck – erwartet.
[oder: Willkommen zurück, Sverigedemokraterna!]

Was in Deutschland sicher keiner zur Kenntnis genommen hat, wie denn auch, es finden hier am Sonntag in Schweden sowohl die Wahlen zum schwedischen Reichstag als auch Kommunalwahlen statt. Meine Wenigkeit darf sich dabei auf die Wahlen in den Kommunen beschränken, es fehlt einem immer noch die schwedische Staatsbürgerschaft.

Und wenn man dann am Sonntagabend in Thüringen und Brandenburg wahrscheinlich der NPD wieder die Türe zu den Landtagen vor der Nase zuknallt, stürmen die Mitglieder des schwedischen Pendants, Sverigedemokraterna (die Schwedendemokraten), den schwedischen Reichstag und freuen sich vermutlich darüber, daß sie mehr als zehn Prozent erreicht haben [pessimistische Prognosen gehen gar von 20 Prozent aus].

Besonders hervorgetan haben sich diese Partei und deren Mitglieder u.a. mit Aussagen darüber,

  • daß einsame Flüchtlingskinder verbrennen sollten
  • daß Einwanderer sich nicht von Schadinsekten unterschieden
  • daß Roma und Sinti ein Krebsgeschwür wären
  • daß man die zurückgebliebenen Einwanderer im Malmöer Stadtteil Rosengård nach Sibirien deportieren sollte, ohne Rückfahrkarte, am besten durch eine militärische Säuberungsaktion in jenem Stadtteil, Arbeit fände sich in den sibirischen Salzbergwerken oder den chinesischen Kohlegruben
  • daß man auffällig gewordene Asylsuchende/Einwanderer mit einem Genickschuß hinrichten sollte
  • daß Transsexuelle psychiatrisch behandelt werden müßten und zu sterilisieren seien
  • daß Homosexualität unnatürlich wäre und zur Degeneration des Volkes führe.

Auf Schwedisch nachlesbar:
>>> http://www.expressen.se/nyheter/val2014/per-klarin-nasta-att-lamna-sina-updrag/
>>> http://www.expressen.se/nyheter/val2014/jamforde-romer-med-cancer–vagrar-backa/
>>> http://www.expressen.se/nyheter/val2014/sd-man-hoppar-av-efter-granskningen/
>>> http://www.expressen.se/nyheter/expressen-avslojar/sd-politikern-skrev-hatkommentarer/
>>> http://expo.se/2014/sd-ordforande-fram-med-steriliseringstvang_6492.html
>>> http://bloggar.eposten.se/risman/2014/04/30/darfor-ar-jag-radd-nar-sd-kommer-till-enkoping/

Darüber hinaus müßte das schwedische Erbe bewahrt werden (meistens wissen sie aber selbst nicht, was sie eigentlich damit meinen) und Schweden wieder schwedisch, schwedischer, am schwedischsten werden. Sozusagen das übliche Geknatter, das man auch aus deutschen Landen kennt.

Nun ist es nicht so, daß die Sverigedemokraterna neu wären, schon die am Sonntag auslaufende Legislaturperiode war ihnen im Reichstag vergönnt, zogen sie doch im Jahre 2010 mit knapp sechs Prozent in diesen ein. Daß nun aber ihre Aussichten auf eine Verdopplung, wenn nicht sogar eine knappe Verdreifachung der Sitze so klar und deutlich auf der Tagesordnung stehen, ist leicht beängstigend. Und eigentlich ein Armutszeugnis für die schwedische Politik.

Ich mache mir übrigens keine Sorgen um meine schwedische Staatsbürgerschaft. Mir wurde jüngst in einem Streitgespräch mit einem Mitglied dieser Partei versichert, daß Deutsche immer willkommen wären. Meinen Einwand, ich sei doch auch nur ein schnöder, einfacher Einwanderer, ließ man nicht gelten.

Hirnverbrannt, verachtend, rassistisch. Dumm. Größenwahnsinnig. Rattenfänger. Altbekannt?

Armes Schweden.

[Stockholmer] Telegramm 11

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Der Lebensrhythmus hat sich Gott sei Dank in drei einfache Abschnitte eingeteilt: Schlafen (meistens zwischen 23.00 – 5.00 Uhr), der Schule (irgendwann dazwischen) und Mahl-zeit(en) – dies dann je nach Arbeitslücken bzw. momentanem Aufenthaltsort, was in den letzten Wochen am hiesigen Wochenende bzw. einer halben Woche Ferien entweder Berlin oder Föhr war.

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Föhr hat insgesamt neben Ruhe und Wind auch neue Einsichten in Sachen Süßigkeiten gebracht, ich wußte bis dato nicht, daß man eine Küche durchaus auch nur mit Zucker und Butter im Topf exothermen Reaktionen aussetzen kann. Was natürlich das kleinere Übel war, wenn man an das Endprodukt denkt, das dann auf der Zunge Freudentänze aufführt. Dennoch, beschaulich war es, mal wieder, lediglich übervolle Fähren waren ein gefühlter Einbruch in der An- und Abreisequalität, zumal ich die Ehre hatte, an einem Tisch zu sitzen, der von Madame beehrt wurde, die ihre heiße Schokoldade grundsätzlich mit überproportional viel Sahne trinkt und deswegen ein halbes Drama gegenüber der Schiffscrew im Salon aufführte, als einer von den vielen Servicekräften nicht gleich die richtige Menge an den Tisch brachte. Hui, ein bißchen Sylt-Etikette mitten in der Nordsee.
November 2012 Föhr/Strand Nieblum - [etwas] Licht.
November 2012 Föhr/Strand Nieblum – [etwas] Licht.
Mit Instagram bearbeitet.

Das Wetter war auch bei diesem kurzen Ausflug nicht unbedingt ein solches, welches man sich beim Strandurlaub wünscht, aber die Vorzüge eines kalten und nassen Wetters sind eben, daß der gemeine Tourist zu Hause bleibt und mir den Strand zur Gänze überläßt. Und wer Kabribik haben möchte, darf eben nicht nach Föhr reisen [auch wenn dies von der >>> Föhr-Tourismus-GmbH immer noch anders proklamiert wird]. Und wer hätte gedacht, daß man gut ein Jahr nach dem >>> Überbordgehen von einigen Containern vor Helgoland, gefüllt mit Schuhen der unterschiedlichsten Marken, noch Strandgut ausmachen könnte, welches zudem noch gut erhalten ist, fast fabrikneu?

November 2012 Föhr/nahe Goting Kliff - eingelagert.
November 2012 Föhr/nahe Goting Kliff – eingelagert.
Mit Instagram bearbeitet.

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Der Winter läßt hier in Stockholm weiterhin auf sich warten. Die Damen und Herren beim nationalen Wetterdienst sind sich noch nicht mal einig, ob der erste Advent am nächsten Wochenende nun weiß wird oder nicht. Dies schränkt natürlich meine Planung dahingehend ein, daß ich mir nun nicht sicher kann, ob ich am nächsten Samstag mit meinem Schlittenersatz, es wäre eine LIDL-Plastiktüte, in Wahnsinnsfahrt die Hänge im Wald von Arlanda hinuntersause. Ich bedauere dies eigentlich zutiefst.

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Es ist wieder die Zeit für >>> Julbord und Weihnachtsmärkte, außerdem haben die Nachbarn ihren Balkon in weihnachtliches Licht gehüllt. Für mich bricht nun also die stressigste Jahreszeit an: Vorweihnachtszeit.

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Die >>> neuerliche Rettung von SAS , Skandinaviens Fluggesellschaft, hat in meiner Schule im Lehrerkollegium doch für einigen Zündstoff gesorgt. Ich war allein auf weiter Flur mit der Überzeugung, die Fluglinie sollte man eher in die Insolvenz entlassen, als fortwährend Steuergelder in ein Unternehmen zu pumpen, das auf dem Markt nicht überlebensfähig ist. Zudem hatte ein Wirtschaftsprofessor der Universität Linköping festgestellt, >>> SAS wäre eine Frage der Demokratie, das Volk solle abstimmen. Mein Einwand, daß die Schweizer oder Belgier beim Bankrott ihrer nationalen Fluglinien ebenso wenig ein demokratisches Mitspracherecht hatten wie wohl der gemeine Steuerzahler in Schweden, wurde mit der Notwendigkeit einer nationalen Fluglinie in Skandinavien gekontert. Ich präzisierte meinen Einwand und fragte, wie ich als Nichtökonom denn bitte schön über das Schicksal eines riesigen Konzerns entscheiden solle, wo genau denn meine Kompetenzen lägen? Schweigen im Lehrerzimmer. Tja, nun sind also alle glücklich, SAS darf weiter völlig planlos in der Welt umherfliegen (denn ein eigenes Konzept als Kontrast zu Billig- oder Premiumfluggesellschaften gibt es nicht), auch wenn Norwegen und Dänemark ihre Anteile loswerden wollen und das fliegende Personal sicherlich unter glücklich etwas anderes versteht als die errungenen Kompromisse. Und ich bin wohl ein bißchen als Kapitalist verschrien.

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Die Schüler wollen nicht mehr, man merkt, daß es geschwind auf Weihnachten zugeht. Hausaufgaben? Fehlanzeige! Einreichen schriftlicher Aufgaben? Fehlanzeige! Verzweifeltes Benehmen bei Krankheit des Lehrers wegen Unterrichtsausfall? Fehlanzeige! [Ich gebe an dieser Stelle zu, daß es mir in meiner Schulzeit zumindest im letzten Punkt ähnlich erging.]

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Ich komme immer noch nicht darüber hinweg, daß ich zu Weihnachten über München nach Berlin fliegen muß.

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In Anbetracht dessen, daß eine gründliche Reflexion über den vorletzten Flug mit Air Berlin ergeben hat, daß die Mitarbeiter dort auf dem „Zahnfleisch“ krauchen und eigentlich nur ein Produkt dessen sind, was Herr Mehdorn in dieser Fluggesellschaft veranstaltet, habe ich nun doch wieder Flüge mit ihnen gebucht.

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Schönen Wochenstart aus Sthlm!

[Stockholmer] Telegramm 7

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Die Zeit rennt, ich werde das Gefühl nicht los, sie tut es immer schneller. Verpaßt habe ich die Geburt der Thronfolgerin, die hier in Schweden natürlich hoch gefeiert wurde, selbst die Präsentation des Namens, Estelle Silvia Ewa Mary Prinzessin von Schweden und Herzogin von Östergötland, war ein Staatsakt. Mich persönlich hat das Ganze doch eher kalt gelassen, ich bin wohl nicht nicht Schwede genug, um in verzückte Raserei zu verfallen, passiert etwas am königlichen Hofe.

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Der Winter ist fort. Kein Schnee mehr weit und breit. Das war dieses Jahr einfach gar nichts. Zwei Wochen Schnee im Februar, der auch wirklich liegen blieb, alles andere nur angetäuscht und simuliert. Stellt sich nur die Frage, ob dies ein normaler milder Winter war, oder ob doch die Klimaerwärmung Schuld auf sich geladen hat. Nun denn, ich warte einfach auf den nächsten Winter …

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Ich glaube, was jetzt kommt, habe ich noch nie getan: Ich schwöre in Zukunft einer Fluggesellschaft ab. Anläßlich eines Geburtstages flog ich ja vor einer Woche gen Berlin. Mit SAS am Freitagabend geschwind hin, am Sonntag dann mit Ryanair zurück. Bei letzterem Flug ereignete sich folgendes: Rucksack war unter dem Sitz, Jacke im oberen Fach. Flugbegleiterin kommt: Jacke muß runter, Rucksack nach oben. Ich fragte nach, weil ich das nicht ganz verstand. Ihr Argument: Die Jacke ist ein Handgepäckstück, ich hätte aber noch meinen Rucksack, der müsse nach oben, die Jacke unter den Sitz. Meine Rückfrage: Der Rucksack nach oben, und die Jacke also unter den Sitz? Als Handgepäck? Seit wann gelte denn eine Jacke, die man anzieht, als Handgepäckstück? Antwort: Dies stünde eindeutig auf meinem Ticket [was ich bis heute bestreite], und wenn ich nicht aufhören würde, zu diskutieren, so würde sie den Piloten holen und mich rausschmeißen. Also: Rucksack nach oben, Jacke auf den Schoß. Nach dem wir dann auf dem Weg zur Startbahn waren, kam sie zurück und meinte, sie könne nun meine Jacke ins obere Fach legen, es käme keiner mehr.

Ich hätte ja die Androhung eines Rauswerfens noch verstanden, wenn ich torkelnd mit drei Koffern im Flugzeug aufgeschlagen wäre, aber daß eine Jacke als Handgepäckstück und eine Nachfrage als Diskussion gewertet werden, dies rechtfertigt dann doch die Wahl einer anderen Fluglinie. Und wie es der Zufall so will, habe ich auch Zeugen, die ich sogar kenne, nur für den Fall, Ryanair will mich wegen Rufschädigung verklagen.

So wird die Klassenreise nach Berlin der ultimativ letzte Anlaß für mich sein, mit den Iren zu fliegen, es wart schon gebucht, danach heißt es: NIE WIEDER RYANAIR!

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In diesem Sinne, das Leben wird doch nie langweilig! Soviel einstweilen aus dem hohen Norden.